Die Orgel als Gegenstand der Denkmalpflege

Denkanstöße von Dr. Nikolaus Könner

Die Orgel - Wolfgang Amadeus Mozart nannte sie den „König aller Instrumente“ - gehört zum kompliziertesten, aber auch gefährdetsten Kulturgut in der Denkmalpflege.

Die Anfänge der Orgeldenkmalpflege in Bayern - im Sinne eines konkreten Schutzes des Musikinstruments „Orgel“ - reichen zurück in die 1920iger Jahre und werden durch Restaurierungsprojekte wie die Ottobeurer Riepp-Orgeln (1922) oder auch die theoretischen Überlegungen zur Sanierung der Johann Georg Hörterich-Orgel in der Wieskirche (1928) markiert. Vorher bezog sich das denkmalpflegerische Interesse an der Orgel zumeist nur auf ihr kunstvolles Äußeres, nicht aber auf die eigentliche Hauptsache, das Instrument als klangliches Phänomen.

Weilheimer Regulativ

Die Annäherung an das heutige ganzheitliche Verständnis im denkmalpflegerischen Umgang mit der Orgel vollzog sich erst langsam und in mehreren Stufen. Eine wichtige Etappe war das sogenannte „Weilheimer Regulativ“ aus dem Jahre 1957, das zwar das Orgelwerk in der Gesamtheit seiner technischen Anlage bzw. in seinen einzelnen Bauelementen thematisierte, einen materiellen Substanzschutz im heutigen Verständnis allerdings in erster Linie für das historische Pfeifenwerk proklamierte.

Technik und Klang am Puls der Zeit

Orgeln sind also Klang- und Kunstdenkmale, in erster Linie jedoch Technikdenkmale. Immer handelt es sich um komplizierte technische Apparate. Im Laufe der Jahrhunderte sind dabei höchst unterschiedliche Systeme entstanden, die jeweils dem aktuellen Stand der Technik entsprachen und maßgeblich Einfluss auch auf den Klang des Instruments nahmen. Insoweit spiegeln die Orgeln sowohl vom klanglichen wie auch vom technischen Konzept her die Klangvorstellungen ihrer Zeit und ihres Erbauers wider.

Orgel im Raum-Klang-Gesamtkunstwerk

Nicht selten stellen Orgeln einen integralen Bestandteil eines einheitlichen Raumkonzeptes dar, bei dem Architektur, Ausstattung wie auch die Orgel als klangliches Pendant quasi im Sinne eines „Gesamtkunstwerks“ zusammenwirken. In der Denkmalpflege spielt die Orgel dann eine Rolle, wenn ein öffentliches Erhaltungsinteresse im Sinne des Art. 1 des Bayer. Denkmalschutzgesetzes zu begründen ist.

Erhalt im umfassenden Sinn

Die Orgeldenkmalpflege am Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege hat das Ziel, Orgeln in ihrem historischen Bestand umfassend zu erhalten. Dabei geht es nicht um einen selektiven Substanzschutz, z.B. lediglich für das Pfeifenwerk. Denn nur ein konsequent bestandswahrender Umgang bis hinein in die Konstruktionsdetails einer Orgel und die Berücksichtigung aller relevanten historischen Konstruktions-Parameter der technischen Anlage des Instruments kann sicherstellen, dass die spezifische Charakteristik in klanglicher und technischer Hinsicht wirklich erhalten bleibt.

Akribische Analyse vor der Restaurierung

Grundlage für jede größere Orgelinstandsetzung ist in der Regel eine genaue Bestandsaufnahme, bei der der Zustand und die Schäden exakt dokumentiert werden. Im Rahmen einer Voruntersuchung wird die Bau- und Veränderungsgeschichte des Instruments genau erfasst: Sie macht das gesamte Wissen über die Orgel, ihren Erbauer und die Veränderungen am Instrument nachvollziehbar und ermöglicht auf diese Weise die Entwicklung eines fundierten restauratorischen Konzepts.

Die Bandbreite orgeldenkmalpflegerischen Handelns ist dabei groß: Sie reicht von der ältesten Kirchenorgel Süddeutschlands, der im Jahre 1609 durch den bedeutenden Orgelmacher Marx Günzer (1579-1628) für die Augsburger Barfüßerkirche erbauten Orgel (seit 1758 in der Kath. Pfarrkirche St. Martin in Gabelbach) bis zu den hochrangigen Orgeln der 1960iger und 1970iger Jahre.

Vom Feind der Orgel

In den Erhaltungsbemühungen wertvoller historischer Orgeln stellen von jeher nicht äußere Schadenseinflüsse wie z.B. Anobienbefall, Wassereintritt oder Korrosion das größte Gefährdungspotential dar. Die größten Gefahren für die langfristige authentische Erhaltung einer Orgel gehen in der Regel paradoxerweise vom Nutzer selbst aus.

Wie kaum ein anderer Gegenstand in der Denkmalpflege ist die Orgel als Musikinstrument einem ständig sich wandelnden Klangideal ausgesetzt, das schon immer Forderungen nach Umbauten und klanglichen Anpassungen, im schlimmsten Falle auch nach einem kompletten Neubau im Sinne der neuesten Trends nach sich gezogen hat.

Vor diesem Hintergrund erklärt sich der heftige „Bilder“- bzw. „Orgelsturm“ im Bereich der großen Epoche der Orgelromantik, der in Süddeutschland in den 1950iger bis 1980iger Jahren die bedeutendsten Instrumente der Hoch- und Spätromantik systematisch beseitigt hat. Heute – nach den immensen Verlusten – ist der romantische Orgeltyp weitgehend rehabilitiert. Heute ist es der Orgeltyp der späten Orgelbewegung, d.h. der Nachkriegsjahrzehnte, der des besonderen Schutzes bedarf und der gegenwärtig - und das nicht nur in Bayern - die größte Herausforderung für die Orgeldenkmalpflege darstellt.

Der Autor ist Hauptkonservator im Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege. https://www.blfd.bayern.de/

 

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